Das sollte eigentlich auch nicht schwer herauszufinden sein, aber ich musste doch einige Bücher in die Hand nehmen und die letzte Seitenzahl ansehen. Und dann eines von zweien auswählen, die beide dieselbe Seitenzahl haben. Das eine war eine Schullektüre – wenn auch eine sehr gute – deshalb fiel es mir nicht ganz schwer
Paul Watzlawick – Vom Unsinn des Sinns oder vom Sinn des Unsinns
Paul Watzlawick war ein bekannter Kommunikationswissenschaftler und Soziologe. Von ihm dürfte am bekanntesten die “Anleitung zum Unglücklichsein” sein. In “Vom Unsinn des Sinns…” erläutert Watzlawick die Systemtheorie sowie den radikalen Konstruktivismus.
Bei der Systemtheorie geht es darum, wie komplexe Systeme (Gesellschaften, Konzerne etc.) betrachtet werden müssten, um verstanden und geändert zu werden: nämlich von innen, ohne jedoch das Außen zu missachten. Der Konstruktivismus spricht davon, dass wir unsere Wirklichkeit selbst “erfinden” oder konstruieren. Und zwar gibt es nach Watzlawick die Wahrnehmung “erster Ordnung”, das ist das, was wir riechen, tasten, schmecken, und die Wahrnehmung zweiter Ordnung, das ist die Einordnung der erstgenannten Wahrnehmung. Und hier gibt es keine Objektivität mehr. Die Wirklichkeit der Sinnzuschreibung wird von unserem Ich, der Kultur, der eigenen Ideologie, dem Wissen etc. erstellt. Hier ein sehr schönes Beispiel aus Italien, das Watzlawick nennt:
eine schizophrene Frau soll von einer Klinik in eine andere verlegt werden. Die Fahrer finden diese in ihrem Zimmer bereits in ihrem Mantel vor, mit Hut auf und Handschuhen an. Als sie mitkommen soll, weigert sie sich und behauptet, sie würde nicht die Genannte sein. Da dies ein bekanntes Symptome der Schizophrenie ist (z.B. Depersonalisierung), bekommt sie eine entsprechende Spritze und wird in Richtung neue Klinik gefahren. Später stellt sich dann heraus, dass es sich um die Patientin, sondern um eine Besucherin handelte
Diese Frau hat sich also vollkommen normal und nachvollziehbar verhalten. Für eine Nicht-Schizophrene. Und vollkommen nachvollziehbar für unser Bild von einer Schizophrenen. Für die Fahrer wurde durch ihr Wissen die Frau zu einer Schizophrenen und je heftiger sie das Gegenteil behauptete, desto mehr bewies sie die Richtigkeit dieser Annahme. (Ein ähnliches Problem ist uns dies bereits aus der Mollath-Affäre bekannt.)
In diesen Fällen zeigen sich auch die Verbindungen zwischen Systemtheorie und Konstruktivismus: die Gemeinschaften (hier die Fahrer, dort Justizbeamte) reagieren gemeinsam auf eine Art und Weise und haben dieselbe Brille auf (= Sinnzuschreibung).
Dieses Buch ist auf jeden Fall sehr empfehlenswert und richtig gut zu lesen. 84 Seiten
Das zweite Buch mit ebenfalls 84 Seiten ist Max Frischs “Biedermann und die Brandstifter”
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